(ndr) Erster Einsatz vor 50 Jahren: Hamburger MEK räumt besetztes Haus

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Stand: 23.05.2023 05:00 Uhr

Im Frühjahr 1973 haIten junge Leute der linken Szene in Hamburg ein Haus besetzt – seit Wochen. Für die Räumung rückt am 23. Mai erstmals das Mobile Einsatzkommando (MEK) an. Diese spezielle Einheit der Polizei greift seitdem immer ein, wenn große Gefahr besteht.

von Dirk Hempel

An jenem Tag im Mai stürmen Polizisten ein Haus an der Ekhofstraße im Hamburger Stadtteil Hohenfelde. Dort haben sich mehr als 70 Hausbesetzer verbarrikadiert, junge Männer und Frauen der linken Szene. Sie protestieren seit Wochen gegen den Abriss des altes Gebäudes, an dessen Stelle die Neue Heimat ein Hochhaus errichten will. Immer öfter aber haben sie auch Anwohnende und Polizisten bedroht und angegriffen.

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Mopo Artikel zur Ekhofstraße 2021

Spätere RAFTerroristen wie Karl-Heinz Dellwo, Stefan Wisniewski oder Christa Eckes waren vorher Hausbesetzer.

  • Hamburger Morgenpost
  • 29 May 2021

Entwicklung: all die, die bisher in dieser Gegend leben. Einfache Leute, Gastarbeiter. Die Immobilienbesitzer lassen die Häuser gezielt verkommen. Sind die Bewohner raus, werden die alten Gebäude abgerissen und durch Bürokomplexe und Hochhäuser ersetzt. Die Konsequenz: Der Wohnraum wird knapp.

Familien, Studenten und Arbeitsmigranten, die nun von Obdachlosigkeit bedroht sind, ziehen in die leer stehenden und noch nicht abgerissenen Häuser – und genießen dabei die Solidarität der Bevölkerung.

Die Forderung nach bezahlbarem Wohnraum schwappt in andere Städte über und kommt Ende 1970 in Hamburg an. Im Dezember besetzen Studenten 25 Wohnungen in zwei leerstehenden Häusern im Karoviertel. Sie wollen dort einen Kindergarten und ein Stadtteilbüro eröffnen und bieten an, dafür Miete zu bezahlen. Doch die Polizei räumt.

Dieselbe Gruppe besetzt ein Jahr später das Abrisshaus Glashüttenstraße 96. Das Ziel ist, dort ein Kinderund Jugendzentrum zu eröffnen. Doch schon drei Tage später wird das Haus, das in städtischem Besitz ist, geräumt. Ähnlich schnell vorbei ist die Besetzung des ehemaligen Siechenheims in St. Georg, bei dem die Umwandlung in ein Studentenwohnheim gefordert wurde.

Zu einem handfesten Konflikt, der bundesweit Schlagzeilen macht, kommt es im April 1973, als radikale Linke das Haus Ekhofstraße 37/39 in Hohenfelde besetzen. Besitzer ist die gewerkschaftseigene „Bewobau“, die den schönen Altbau abreißen will, um ein 19-geschossiges Hochhaus mit „Komfortwohnungen“zu errichten. Aus Protest gegen diese Pläne beginnt eine Belagerung, die das Motto „Kampf dem Mietwucher“hat und an der bis zu 200 Personen beteiligt sind.

Die anfängliche Solidarität der Nachbarn schwindet im Laufe des fünfwöchigen Häuserkampfes, da die hinter Stacheldraht verbarrikadierten Besetzer zunehmend aggressiv reagieren. Sie maskieren sich mit Motorradhelmen und Palästinenser-Tüchern, halten Molotow-Cocktails bereit, schießen mit Zwillen und attackieren einen Streifenwagen.

Bei der Räumung am 23. Mai tritt erstmals das neu gegründete Mobile Einsatzkommando (MEK) in Aktion. 500 Beamte stürmen das Gebäude, es fallen Schüsse. Die Hausbesetzer wehren sich, indem sie Möbelstücke werfen. Mehrere Personen werden verletzt. 40 Hausbesetzer kommen in Untersuchungshaft, darunter Karl-Heinz Dellwo, Stefan Wisniewski, Christa Eckes und Wolfgang Beer, die sich später der RAF anschließen.

Nicht weniger entschlossen, aber wesentlich strategischer gehen Mitte der 1970er Jahre die Häuserkämpfer in der Haynstraße/Hegestraße (Eppendorf) vor. Ebenso wie den Studenten im Schröderstift (Rotherbaum), wo das im romantischen Historismus gebaute Stiftsgebäude 1974 einem Neubau für die Universität weichen soll, gelingt es ihnen, den Abriss durch die Gründung einer Mieterinitiative zu verhindern und langfristige Mietverträge durchzusetzen. Beide Gebäude sind bis heute erhalten geblieben.

Nach diesen ersten Aktionen entwickeln sich die 1980er Jahre zu einer Hochphase der Hausbesetzungen in Hamburg. Zunächst sind es vor allem Jugendliche, die die leeren Häuser mit dem Ziel kapern, darin Jugendfreizeitheime zu eröffnen. Meistens dauern die mit Demonstrationszügen begleiteten Aktionen wie die in der Alten Holstenstraße 18 (Bergedorf), in einer Disco Ecke Müggenkampstraße und Methfesselstraße (Eimsbüttel) oder in der Brink-Schule an der Kampchaussee 73 (heute: Kurt-A.-KörberChaussee, Bergedorf) nur wenige Stunden. Entweder weil die Protestler sich selbst zurückziehen oder weil die Eigentümer Anzeige wegen Hausfriedensbruchs stellen und so eine schnelle Räumung erzwingen.