Spätere RAFTerroristen wie Karl-Heinz Dellwo, Stefan Wisniewski oder Christa Eckes waren vorher Hausbesetzer.
- Hamburger Morgenpost
- 29 May 2021
Entwicklung:
all die, die bisher in dieser Gegend leben. Einfache Leute,
Gastarbeiter. Die Immobilienbesitzer lassen die Häuser gezielt
verkommen. Sind die Bewohner raus, werden die alten Gebäude abgerissen
und durch Bürokomplexe und Hochhäuser ersetzt. Die Konsequenz: Der
Wohnraum wird knapp.
Familien, Studenten
und Arbeitsmigranten, die nun von Obdachlosigkeit bedroht sind, ziehen
in die leer stehenden und noch nicht abgerissenen Häuser – und genießen
dabei die Solidarität der Bevölkerung.
Die
Forderung nach bezahlbarem Wohnraum schwappt in andere Städte über und
kommt Ende 1970 in Hamburg an. Im Dezember besetzen Studenten 25
Wohnungen in zwei leerstehenden Häusern im Karoviertel. Sie wollen dort
einen Kindergarten und ein Stadtteilbüro eröffnen und bieten an, dafür
Miete zu bezahlen. Doch die Polizei räumt.
Dieselbe
Gruppe besetzt ein Jahr später das Abrisshaus Glashüttenstraße 96. Das
Ziel ist, dort ein Kinderund Jugendzentrum zu eröffnen. Doch schon drei
Tage später wird das Haus, das in städtischem Besitz ist, geräumt.
Ähnlich schnell vorbei ist die Besetzung des ehemaligen Siechenheims in
St. Georg, bei dem die Umwandlung in ein Studentenwohnheim gefordert
wurde.
Zu einem handfesten Konflikt, der
bundesweit Schlagzeilen macht, kommt es im April 1973, als radikale
Linke das Haus Ekhofstraße 37/39 in Hohenfelde besetzen. Besitzer ist
die gewerkschaftseigene „Bewobau“, die den schönen Altbau abreißen will,
um ein 19-geschossiges Hochhaus mit „Komfortwohnungen“zu errichten. Aus
Protest gegen diese Pläne beginnt eine Belagerung, die das Motto „Kampf
dem Mietwucher“hat und an der bis zu 200 Personen beteiligt sind.
Die anfängliche Solidarität der Nachbarn schwindet im Laufe des fünfwöchigen Häuserkampfes, da die hinter Stacheldraht verbarrikadierten Besetzer zunehmend aggressiv reagieren. Sie maskieren sich mit Motorradhelmen und Palästinenser-Tüchern, halten Molotow-Cocktails bereit, schießen mit Zwillen und attackieren einen Streifenwagen.
Bei der Räumung am 23. Mai
tritt erstmals das neu gegründete Mobile Einsatzkommando (MEK) in
Aktion. 500 Beamte stürmen das Gebäude, es fallen Schüsse. Die
Hausbesetzer wehren sich, indem sie Möbelstücke werfen. Mehrere Personen
werden verletzt. 40 Hausbesetzer kommen in Untersuchungshaft, darunter
Karl-Heinz Dellwo, Stefan Wisniewski, Christa Eckes und Wolfgang Beer,
die sich später der RAF anschließen.
Nicht
weniger entschlossen, aber wesentlich strategischer gehen Mitte der
1970er Jahre die Häuserkämpfer in der Haynstraße/Hegestraße (Eppendorf)
vor. Ebenso wie den Studenten im Schröderstift (Rotherbaum), wo das im
romantischen Historismus gebaute Stiftsgebäude 1974 einem Neubau für die
Universität weichen soll, gelingt es ihnen, den Abriss durch die
Gründung einer Mieterinitiative zu verhindern und langfristige
Mietverträge durchzusetzen. Beide Gebäude sind bis heute erhalten
geblieben.
Nach diesen ersten Aktionen
entwickeln sich die 1980er Jahre zu einer Hochphase der Hausbesetzungen
in Hamburg. Zunächst sind es vor allem Jugendliche, die die leeren
Häuser mit dem Ziel kapern, darin Jugendfreizeitheime zu eröffnen.
Meistens dauern die mit Demonstrationszügen begleiteten Aktionen wie die
in der Alten Holstenstraße 18 (Bergedorf), in einer Disco Ecke
Müggenkampstraße und Methfesselstraße (Eimsbüttel) oder in der
Brink-Schule an der Kampchaussee 73 (heute: Kurt-A.-KörberChaussee,
Bergedorf) nur wenige Stunden. Entweder weil die Protestler sich selbst
zurückziehen oder weil die Eigentümer Anzeige wegen Hausfriedensbruchs
stellen und so eine schnelle Räumung erzwingen.